Freitag, 7. März 2014

echo am Mittwoch, 23.06.1999

Im heißen Endspurt

In den letzten Tagen des Heilbronner OB-Wahlkampfes liegen die Nerven blank
Mergel-Lager hofft auf 52 Prozent

Von Jürgen Dieter Ueckert

Wenn Wahlplakate, Prospekte und Emotionen allein zählen wür­den, dann müsste das gute Ge­fühl von Herbert Tabler am Sonntag ganz selbstverständlich vom Wähler in Heilbronn bestä­tigt werden. Der Mann aus der Wahlkampfleitung des Kandida­ten Harry Mergel, unterstützt von SPD und Grünen, liest aus der Stimmungslage in der Bevöl­kerung 50 bis 52 Prozent Pro-Mergel im ersten Wahlgang.

Die Mannschaft um den Mann von außen, den Heidenheimer Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach, unterstützt vom bür­gerlichen Lager aus CDU, FDP und Freien Wählern, will sich auf Prognosen nicht festlegen. Tho­mas Schick, der Werbemanager des Himmelsbach-Wahlkampfes, meint, dass Mergel bisher mit 200 Prozent von seinem Wahlsieg überzeugt war. Diese

Als Schwachpunkte worden dem Heilbronner Insider Harry Mergel angekreidet: Er verschweige sei­nen Beruf als Lehrer an einer Be­rufsschule, stelle sich ständig schützend vor den umstrittenen Heilbronner SPD-Bürgermeister Ulrich Frey, rechne die Finanzsituation der Stadt schön und gebe keine klaren Auskünf­te, ob er auf der SPD-Liste wie­der für den Gemeinderat kandi­dieren werde.

Dem Kandidaten Himmelsbach rechnet das Mergel-Lager vor, dass er in seiner Heidenheimer OB-Zeit bisher kein nennenswertes Projekt auf den Weg ge­bracht habe und nur ein trockener Finanzdezernent sei. Das Himmelsbachsche Rumnörgeln an der Stadtbahn bringe die Ge­fahr mit sich, dass Heilbronn sich zum Gespött in der ganzen Regi­on mache. Heilbronn könne nicht nochmals Jahre des Stillstands verkraften. Sibylle Mös­se-Hagen, Mergel-Wahlkampfleiterin: „Das Zögerliche hatten wir genug in den vergangenen Jahren."

Als schwach bewertet das bür­gerliche Lager die Angriffe gegen Helmut Himmelsbach. Der Mergel-Truppe würden die Argumente fehlen: Man nörgle an der Himmelsbach-Krawatte rum, kritisie­re sein Plakat, könne nicht belegen, wo es unter Himmelsbach in Heidenheim Stillstand gege­ben habe, lobe sich nur selber und lasse es an Sachargumenten fehlen. Als Beleg wird der Titel-Kampf auf dem Wahlzettel angeführt, der von Seiten der SPD mit aller Macht und Verbitterung geführt worden sei.

Das rot-grüne Lager will mit Har­ry Mergel, der für sie „kein klassischer Bürokrat“ sei, den Generationenwechsel an der Spitze des Rathauses herbeiführen. Wie im erfolgreichen Bundestagswahlkampf heißt es auch in Heilbronn: 16 Jahre CDU-Herrschaft müssen jetzt beendet werden. Drei von vier Bürgermei­stern sind CDU-Männer. Mit Har­ry Mergel wäre die Parität wiederhergestellt.

Anerkannt wird von der Himmelsbach-Mannschaft, dass die Mergel-Mannschaft die Stadt mit ihren Plakaten, Broschüren und Anzeigen zupflastern. Den eigenen Kurs wolle man deshalb nicht ändern. Rund 100.000 Mark bei Himmelsbach stehen annähernd 150.000 Mark bei dem Mergel-Wahlkampf gegenüber.

Am Sonntag gehe es aber nicht um einen Schönheitswettbewerb, sondern allein  um die Zukunft Heilbronn. Tatsache ist: Jünger und Dressman-like wirkt Harry Mergel, dank professionell gestalteter Prospekte; recht bieder und mit Amateurfotos im Prospekt kommt Helmut Himmelsbach daher.

Die vier weiteren Kandidaten spielen in der Wahlkampfstrategie der beiden Matadore keine entscheidende Rolle. Im Hinter­grund steht jedoch die bange Frage, aus welchem Lager der Republikaner Alfred Dagenbach seine Stimmen holen wird. Traditionsgemäß ist das SPD-Milieu sehr anfällig für den populären Böckinger Gärtnermeister und seine ruppig vorgetragenen Ideen. Und auch beim populären Radio-Ton-Moderator Frank Dignaß  ist man sich unsicher, welche Wählerschichten er mobilisieren könnte.

Gemessen am Beifall bei der Heilbronner-Stimme-Diskussion am Montag müsste das rot-grüne Lager seine Strategie überdenken. Aber 2.000 politisch interessierte Besucher sind kein Gradmesser. Wichtiger sind in den vier letzten Tagen vor der Wahl die Kleinigkeiten, die Stimmungen transportieren.

„Der brillante Kandidat, ob Frau oder Mann, von außen fehlt”, meinte ein Beobachteter, der entnervt die Heilbronner Harmonie frühzeitig verließ, „da haben die beiden großen Parteien in ihrem bundesweiten Kandidaten-Suchlauf jämmerlich versagt.“

echo am Mittwoch
23. Juni 1999
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