In den letzten Tagen des Heilbronner
OB-Wahlkampfes liegen die Nerven blank
Mergel-Lager hofft auf 52 Prozent
Von Jürgen Dieter Ueckert
Wenn Wahlplakate, Prospekte und
Emotionen allein zählen würden, dann müsste das gute Gefühl von Herbert Tabler am Sonntag ganz
selbstverständlich vom Wähler in Heilbronn bestätigt werden. Der Mann aus der
Wahlkampfleitung des Kandidaten Harry
Mergel, unterstützt von SPD und Grünen, liest aus der Stimmungslage in der
Bevölkerung 50 bis 52 Prozent Pro-Mergel im ersten Wahlgang.
Die Mannschaft um den Mann von
außen, den Heidenheimer Oberbürgermeister Helmut
Himmelsbach, unterstützt vom bürgerlichen Lager aus CDU, FDP und Freien
Wählern, will sich auf Prognosen nicht festlegen. Thomas Schick, der Werbemanager des Himmelsbach-Wahlkampfes,
meint, dass Mergel bisher mit 200 Prozent von seinem Wahlsieg überzeugt war.
Diese
Selbstgewissheit beginne jetzt zu
bröckeln.
Als Schwachpunkte worden dem
Heilbronner Insider Harry Mergel angekreidet: Er verschweige seinen Beruf als
Lehrer an einer Berufsschule, stelle sich ständig schützend vor den
umstrittenen Heilbronner SPD-Bürgermeister Ulrich Frey, rechne die
Finanzsituation der Stadt schön und gebe keine klaren Auskünfte, ob er auf der
SPD-Liste wieder für den Gemeinderat kandidieren werde.
Dem Kandidaten Himmelsbach rechnet das Mergel-Lager vor, dass er in seiner Heidenheimer
OB-Zeit bisher kein
nennenswertes Projekt auf den Weg gebracht habe und nur
ein trockener Finanzdezernent sei. Das Himmelsbachsche Rumnörgeln an der
Stadtbahn bringe die Gefahr mit sich, dass Heilbronn sich zum Gespött in der
ganzen Region mache. Heilbronn könne nicht nochmals Jahre des Stillstands
verkraften. Sibylle Mösse-Hagen,
Mergel-Wahlkampfleiterin: „Das Zögerliche hatten wir genug in den vergangenen
Jahren."
Als schwach bewertet das bürgerliche
Lager die Angriffe gegen Helmut Himmelsbach.
Der Mergel-Truppe würden die Argumente fehlen: Man nörgle an der
Himmelsbach-Krawatte rum, kritisiere sein Plakat, könne nicht belegen, wo es
unter Himmelsbach in Heidenheim Stillstand gegeben habe, lobe sich nur selber
und lasse es an Sachargumenten fehlen. Als Beleg wird der Titel-Kampf auf dem
Wahlzettel angeführt, der von Seiten der SPD mit aller Macht und Verbitterung
geführt worden sei.
Das rot-grüne Lager will mit Harry
Mergel, der für sie „kein klassischer Bürokrat“ sei, den Generationenwechsel an
der Spitze des Rathauses herbeiführen. Wie im erfolgreichen Bundestagswahlkampf
heißt es auch in Heilbronn: 16 Jahre CDU-Herrschaft müssen jetzt beendet werden.
Drei von vier Bürgermeistern sind CDU-Männer. Mit Harry Mergel wäre die
Parität wiederhergestellt.
Anerkannt
wird von der Himmelsbach-Mannschaft, dass die Mergel-Mannschaft die Stadt mit
ihren Plakaten, Broschüren und Anzeigen zupflastern. Den eigenen Kurs wolle man
deshalb nicht ändern. Rund 100.000 Mark
bei Himmelsbach stehen annähernd 150.000 Mark bei dem Mergel-Wahlkampf
gegenüber.
Am Sonntag gehe es aber nicht um
einen Schönheitswettbewerb, sondern allein um die Zukunft Heilbronn.
Tatsache ist: Jünger und Dressman-like wirkt Harry Mergel, dank professionell
gestalteter Prospekte; recht bieder und mit Amateurfotos im Prospekt kommt
Helmut Himmelsbach daher.
Die vier
weiteren Kandidaten spielen in der Wahlkampfstrategie der beiden Matadore keine
entscheidende Rolle. Im Hintergrund steht jedoch die bange Frage, aus welchem
Lager der Republikaner Alfred Dagenbach seine Stimmen holen wird.
Traditionsgemäß ist das SPD-Milieu sehr anfällig für den populären Böckinger
Gärtnermeister und seine ruppig vorgetragenen Ideen. Und auch beim populären
Radio-Ton-Moderator Frank Dignaß ist man sich unsicher, welche
Wählerschichten er mobilisieren könnte.
Gemessen am Beifall bei der
Heilbronner-Stimme-Diskussion am Montag müsste das rot-grüne Lager seine
Strategie überdenken. Aber 2.000 politisch interessierte Besucher sind kein
Gradmesser. Wichtiger sind in den vier letzten Tagen vor der Wahl die
Kleinigkeiten, die Stimmungen transportieren.
„Der brillante Kandidat, ob Frau
oder Mann, von außen fehlt”, meinte ein Beobachteter, der entnervt die
Heilbronner Harmonie frühzeitig verließ, „da haben die beiden großen Parteien
in ihrem bundesweiten Kandidaten-Suchlauf jämmerlich versagt.“
echo am Mittwoch
23. Juni 1999
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